|
Was wir hier an den Wänden versammelt sehen, kommt uns bekannt vor, einerseits. Dann nämlich, wenn man die Arbeiten ein- zeln betrachtet und sich daran erinnert fühlt, den Motiven, die darauf zu sehen sind, so oder so ähnlich schon mal begegnet zu sein. Und liegt damit ja auch keineswegs falsch. Denn wie leicht zu erkennen ist, handelt es sich bei ihnen um werbeträchtig aufgeladene Bilder aus der ganz gewöhnlichen Verpak- kungwelt aller möglichen Bereiche unseres Konsums. Nimmt man sie aber, die rund zweitausend verschiedenen Motive, in ihrem flächendeckenden Auftritt wahr, scheinen sie noch etwas Anderes zu sein als das, was sie im Einzelnen sind. Von diesem Phänomen, das ein allgemeines ist, wusste schon der große Aristoteles; nämlich dass das Ganze mehr noch ist als bloß die Summe seiner Teile. Was ein solches Mehr allerdings ausmacht, erfährt man nicht durch schlichte Haufen- bildung; darauf hoffend, dass ab einer be- stimmten Menge Materials dessen bloße Quantität in jene Qualität umschlägt, in der sich das gesuchte Mehr schon von selbst offenbare. Vielmehr käme es darauf an, jen- seits solcher Haufenbildung einen geeigne- ten Weg zu finden, auf dem sich dem Mehr auf die Spur kommen ließe. Das zu schaf- fen, das wäre die Kunst, und das ist die Kunst, die der Karin Hoerler, dessen Ergeb- nis wir hier sehen. Etwas, dessen stoffliche Basis auf Einkaufstüten abgedruckte Bild- motive sind, wie sie uns hier an den Wänden eben nicht als Haufen, sondern auf eine be- stimmte Weise ästhetisch transformiert um- geben; und das zweitausendfach, wie ich schon sagte. Ästhetisch transformiert meint, dass Karin Hoerler die Motive, um es technisch auszu- drücken, disfunktionalisiert. Das heißt, sie schneidet sie aus einem auf Einkaufstüten abgedruckten größeren Bild heraus und be- raubt sie damit, nun kontextbefreit, ihres Lenkungscharakters. So treten sie uns, die befreiten Motive, sagen wir erstmal nur an- ders entgegen. Denn sie funktionieren nun nicht mehr innerhalb ihres ihnen einmal zu- gedachten kommerziellen Bestimmungs- zwecks, der da hieß zu verlocken.
Fortsetzung Text Friedhelm Baumgärtner
|